Das Mysterium der Blitztrennung

Jeder hat sie schon einmal im Bekanntenkreis miterlebt: die Blitztrennung. Lange Beziehungen, die im Freundeskreis immer als stabil und verlässlich galten, werden auf einmal aufgelöst. Wer von einer solchen Blitztrennung hört, reagiert meist auf die gleiche Art und Weise: Der Kiefer fällt herunter, die Augen werden größer und es entfahren einem die Worte: „Nein! Die haben sich getrennt?“ Sogar bei guten Freunden, die in ihrer Beziehung immer glücklich schienen und harmonisch miteinander umgegangen sind, kann dies passieren.
Niemand versteht eine solche Blitztrennung. Warum kam das so plötzlich? Es ist, als lasse das Vorzeige-Paar eine Bombe platzen und niemand wusste, dass er gefährdetes Gebiet betreten hatte. Die Fragen prasseln nur so auf die Frischgetrennten ein: „Warum kam es dazu? Ist etwas passiert? Liebt ihr euch nicht mehr?“ Die Angeklagten halten sich wiederum bedeckt und stammeln zu Beginn nur Sätze wie „Es hat einfach nicht mehr gepasst.“
In Beziehungen staut sich häufig Ballast an, weil es zu anstrengend und nervenraubend wäre, sich zum jetzigen Zeitpunkt damit auseinanderzusetzen. Außerdem sieht von außen alles so schön aus: Warum sollte man die brav zirkulierende Welt aus der Fassung bringen? Man ist doch kein Unmensch.
Unsere Generation versucht meist, ihre Probleme mit sich selbst auszumachen. Wenn die Probleme lauter werden, machen wir im Idealfall endlich den Mund auf und deuten Hilferufe an. Wer großes Glück oder aufmerksame Freunde hat, wird dann gehört. Es folgt das absolute Grauen: Man wird gemeinsam mit seinem Partner in einen Problemsumpf hineingeschmissen und dabei mit allen hässlichen und schmerzenden Drecksschwämmen konfrontiert - und lernt als Paar, miteinander zu schwimmen.
Wir alle kennen Freunde oder Freunde von Freunden, die „gerade nochmal die Kurve“ gekriegt haben. Die ihren Partner an die Hand genommen oder ihn mit verbundenen Augen in den Drecksumpf gestoßen haben und hinterher gesprungen sind. Meist beginnt dieser waghalsige Sprung mit den Worten „So geht es nicht weiter“. Es lag einfach zu viel Ballast auf ihren Schulter, als dass sie die Gegenwart noch länger hinnehmen könnten. Es schien für sie unmöglich, sich im krankhaft zirkulierenden Rad weiterzubewegen. Es klebt ihnen heute noch der Schlamm unter den Fingernägeln und sie mussten einige Opfer lassen, aber es geht bei ihnen weiter.
Man kann allerdings auch praktischer denken und so tun, als gäbe es dieses große Schlammloch nicht. Man spannt eine Folie darüber und führt einen mechanischen Tanz auf, geht vorsichtig, damit die Plane nicht reißt. Allerdings kommt irgendwann der ganz große Krach, bei dem einer von beiden die Hände in die Folie krallt und sie beschädigt. Bevor das dünne Häutchen reißt und man sich diesem unheimlichen Wulst da unten aussetzen muss, rennt man lieber Hals über Kopf davon - einer nach links, einer nach rechts. Nur weit weg von diesem gefährlichen Ort. Es geht auch ohne den Partner, nur das eigene Überleben zählt. LOS! LAUF!
Ganz genau, das nennt man dann eine Blitztrennung.
Andrea Bruchwitz